Detlef Hager
Auszug aus dem Roman "Marie-Claire"
...
Die vorgesehene Fahrt nach Beauzelle verschob ich. Instinktiv
führte mich mein Weg in die Küche. Ein unendliches Durstgefühl
plagte mich. Auf die Bitte und den auffordernden Blick von Mme.
Cralut hin, schluckte ich die Tabletten, die sie für mich
bereithielt.
"Nimm Marc, es wird dir helfen deinen Kopf zu klären."
Nahezu willenlos schluckte ich sie mit Wasser, diese kleinen
Dinger, die einen widerwärtigen, bitteren Nachgeschmack
hinterließen. Abscheu ergriff mich.
"Wollen sie mir den Rest geben?", fragte ich unwirsch
und mein Gesicht verzog sich ohne mein Zutun. Schnell trank ich
den bereitgestellten Kaffee hinterher, der nicht nur durch seine
Wärme belebte, sondern geschmacklich die Grässlichkeit der
Tabletten überdeckte. Mein Kopf war hohl. Meine treue
Haushälterin bemerkte dies genau. Ohne dass ich sie aufforderte,
erzählte sie mir sehr ausführlich mit einem etwas gehässigen
Unterton über die vergangene Nacht und half mir meine
Gedächtnislücken zu füllen. In ihrem Bericht hielt sie mir
einen Spiegel vor, der bei mir zu einem schlechten Gewissen
führte.
"Marcel und du, ihr ward beide erheblich betrunken."
Mit leichtem Spott und schräg gestellten Kopf musterte sie mich
und schien sich über meinen Zustand zu amüsieren.
"Annette und Marie-Claire erzählten mir heute früh am
Telefon, du warst vom Sessel gerutscht und lagst ohne
Orientierung auf dem Boden. Die Beiden brachten dich mit viel
Aufwand und Kraft, du konntest kaum deine Beine voreinander
setzen, die lange Treppe hinauf in dein Schlafzimmer. Dort haben
sie dich entkleidet und ins Bett gelegt, wo du dann ohne weitere
Reaktion eingeschlafen bist."
Diese Erzählung von Mme. Cralut ließ mich erröten. Mit
sichtbarer Schadenfreude berichtete sie weiter.
"Deine übrigen Gäste konnte man ebenfalls nicht als
nüchtern bezeichnen und Marcel wurde von seinen Eltern auf das
Sofa in deinem Arbeitszimmer gelegt. Er war wie du unfähig zu
gehen. Die restliche Gesellschaft hat das Haus gegen Morgen
verlassen, und Francois ist über dies noch die Treppe vor der
Eingangstür hinunter gefallen. Er hat sich aber nicht
verletzt."
Bei ihrer Erzählung fühlte ich mich nicht wohl, da ich meine
Gäste nicht ausreichend betreut hatte. Ich ging auf mein
Arbeitszimmer zu in der Hoffnung dort Marcel noch anzutreffen.
"Marcel ist um sieben Uhr in der Früh nach Hause gegangen.
Ich habe ihm noch einen starken Kaffee gekocht", klärte
mich Mme. Cralut weiter auf, als sie meine Suche bemerkte.
Auf der Terrasse erhoffte ich durch frische Luft eine Besserung
meines Zustandes zu erreichen, was sich als Fehleinschätzung
erwies. Ich zog es vor mich auf ein Sofa in einer dunkleren Ecke
des Wohnzimmers zu legen. Alles Licht war zu hell, jedes
Geräusch zu laut, und eine offensichtliche Störung meines
Gleichgewichts verursachte bei schnelleren Kopfbewegungen sofort
einen ausgeprägten Hang nach links.
"Schwankungen des Lebens!"
Dieser geistreiche Einfall ließ mich unbewusst lächeln.
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MA 05.03.2009