Herbert Kummetz
Solo im Watt
Er predigt dem Meer. Er predigt dem Morast zu seinen Füßen. Er
predigt dem aufkommenden Sturm. Es macht ihn heiser und
frösteln: Hoffahrt und Geiz, Neid und Zorn, Unkeuschheit und
Völlerei, Überdruss am Leben und Überdruss am Sterben. Er
stakst am Rand eines Priels entlang, zieht das rechte Bein hoch,
manchmal ist es auch das linke, rudert mit den Armen in der Luft,
er sucht das Gleichgewicht zu halten. Weit ist er hinausgelaufen
für diesen Todsünden-Tanz. Unter ihm Begierden im Schlick
begraben vor Jahrhunderten, nur noch Materie stößt der Boden
dann und wann aus, Scherben eines Kruges, Balkensplitter eines
Hecktors, eine zerfressene Münze.
Es kommt die hochfahrende Flut. Er holt zum Letzten und zum
Ganzen aus, schafft es auf eine winzige Sandbank, ringt die
Hände himmelwärts, sein Mund schnappt auf und zu, Bläue
überzieht die so dünne Haut, seine Hüften beginnen zu wanken,
die Rippen stechen, zwei, drei Möwen, die am rasch wandernden
Flutsaum Beute suchen, fliegen Scheinangriffe auf ihn, da wehrt
er sich noch.
Sein nackter Körper wird am anderen Mittag unterhalb des Bistros
angetrieben. Es findet ihn der Koch als er zur Schicht kommt.
Dort, wo es nach Bootsdiesel müffelt, dümpelt der Leichnam
zwischen Plastikflaschen, das Gesicht nach oben. Eine Querwelle
von der Mole musste ihn umgedreht haben, die Treibspuren am
Körper sieht auch der Laie, wie im Meer gegeißelt. Der Vorfall
ist nicht unangenehm für den Betrieb, denn die meisten
Schaulustigen essen und trinken etwas, bloß dass die
Einsatzfahrzeuge die Sicht verdecken.
Die vielen Bestellungen bringen den Koch ins Schwitzen, ein
außergewöhnlicher Tag. In einer Pause greift er zum Handy, eine
weibliche Stimme antwortet. Er will erzählen, verhaspelt sich,
möchte mehr sagen, was von Liebe und Tod. Tagsdrauf erscheint er
früher als sonst zum Dienst, er setzt ein Lattenkreuz oberhalb
der Fundstelle in die Böschung. Ein paar weiße Rosen kommen
später hinzu, es bringt sie eine Frau, die mit der Handystimme.
Wie die Zeitung berichtet, lebte der Prediger im
Landeskrankenhaus. Er habe sich für Christus gehalten. Andere
Patienten wollten ihn kurz vor Ostern in der Toilette kreuzigen.
Der robuste Einsatz des Pflegepersonals hatte das gerade noch
verhindern können.
Seine akkurat zusammengelegte Kleidung findet man unter einer
Bank am Deich. Ein nasses unscheinbares Häufchen.
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MA 04.07.2011