Irmela Mukurarinda
Herbst 68 - Berlin-Ost
Berlin, wenige
Jahre nach der Wende, Ulrike Berlinger, auf der Suche nach einem
neuen Job, wird an einen Dr. Schönauer verwiesen.
Dr.Schönauer, den kannte sie doch aus Ost.Berlin, oder?
Sie sah auf das Türschild: Dr. Lothar Schönauer.
Na, zwei davon wird es ja wohl nicht geben. Tief durchatmend
klopfte sie, trat ein und vom Schreibtisch am Fenster erhob sich
eine schmale, lange Gestalt, stand wie ein Scherenschnitt gegen
das Hell.
Nach kurzer Begrüßung, einem erstaunlich festen Händedruck
saß sie ihm gegenüber. Die Sonne gleißte ihr ins Gesicht,
ließ ihr Gegenüber als dunkle, gesichtslose Gestalt erscheinen.
Verdammt, ich kann ihn nicht richtig sehen. Man sitzt hier wie
bei der Stasi! Er muss mich doch erkannt haben. Außerdem hat er
meine Personalakte.
Sie versuchte, sich mit dem schweren Stuhl in den Schatten zu
rücken.
Oh, Entschuldigung.
Dr. Schönauer stand auf und mit einem raschen Griff rieselte
eine Metall-Jalousie über das grelle Fenstereck.
Leger saß er da, die langen Beine streckten sich ihr unter der
Schreibtischmitte entgegen, schwarze Schuhe, schwarze Strümpfe
und der unvermeidliche, graue Flanell.
Flanell, da hat er sich aber schnell angepasst, oder war das Ost
wie West gleich?
Er redete in abgehackten Sätzen, ein Staccato von Worten, holte
dazwischen die berühmte blaue Gesetzessammlung vom
gegenüberliegenden Regal, war sichtlich bemüht, sie gut zu
beraten.
Ulrike hatte Zeit, sein Gesicht zu studieren, die schmalen,
dunklen Augen, die tapfer Müdigkeit, Alter, Ärger verbergen
wollten; die langen, knorrigen Hände mit den braunen
Fingerkuppen. DDR-Zigaretten, Caro und F6 hatten ihre Spuren
hinterlassen. Aber sein Büro roch rauchfrei.
Warum ist er so nervös? Naturzustand ist es nicht, vielleicht
Entzug, Unsicherheit, schlechtes Gewissen?
Der lange Schönauer!
Ihr erstes Studienjahr, September 68. Keine Rebellion gegen
Muff und Mief wie im Westteil der Stadt. Nein, hier war es eher
ein trotziges, fast stummes Aufbegehren gegen den Einmarsch der
Soldaten in Prag. Sowjetische Armee, Volksarmee - Hand in Hand,
im Gleichschritt, Marsch!
Ihr Prag, die stolze Teynkirche, die engen Gassen drüben auf der
Kleinseite. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie eine
Synagoge betreten, war über den jüdischen Friedhof gegangen und
hatte mit tränenfunkelnden Augen kleine Kiesel auf bemooste
Grabsteine gelegt. In ihr Tagebuch malte sie ungelenk und
ziemlich falsch, wie sie später feststellte, hebräische
Schriftzeichen ab.
Prag - für einen DDR-Menschen die große weite Welt, mit fremd
klingenden Sprachfetzen, dem "Schwarzen
Theater", Jazzkapellen in verräucherten Kneipen und
dem vielen starken dunklen Bier.
Und nun das!
Aufstand, Einmarsch, Feindschaft und Panzer auf dem Wenzelsplatz.
Schon bei der Immatrikulationsfeier war ihr der lange
Schönauer aufgefallen.
Sie ihm auch.
Er kam auf Ulrike zu mit dem schlendrigen Gang zu groß
gewachsener Menschen, bot ihr eine Zigarette an. Nie hätte sie
zugegeben, dass es ihre erste war. Sie glaubte sich
professionell, als sie den Rauch mit rundem Mundloch ausstieß,
bis sie zu ihm hoch schaute. Dieses belustigte Lächeln, gegen
das sie böse anfunkelte. Dann zog er an seiner Zigarette und
blies genau wie sie den Rauch wieder aus, ohne sie dabei aus den
Augen zu lassen, nur dieses Glitzern verstärkte sich.
Ja, da konnte sie nur mit lachen. Es sah wirklich zu dumm aus.
Sie warf die Zigarette auf den Boden, trat sie mit hartem Absatz
aus.
Bald galten die beiden als unzertrennlich, Studium war nun mehr
als Großstadt und Universität.
Man traf sie zusammen in Konzerten, er half ihr über die ersten
Hürden hebräischer Grammatik, weihte sie in die Geheimnisse der
Staatsbibliothek ein und sie hockten mit den anderen auf den
Stufen des Doms, dem wilhelminischen Kuppelbau, vom Krieg
zertrümmert, nur unter den Seitentürmen ihre kleinen
Fakultätsräume.
Sie redeten wie alle damals über Prag, Jan Palach und seine
Selbstverbrennung auf dem Wenzelsplatz.
Nein, eigentlich hatte er sie nur reden lassen.
Heiß ging es her in diesem Herbst an der Universität. Die
Studentenzahlen bröckelten. Von Verhaftungen wurde
gemunkelt.
Ihr Studienjahr war das größte aller Zeiten, wie schon der
Dekan in seiner Rede zur feierlichen
Immatrikulation bemerkte.
Daran können Sie sehen, hatte er mit sonorer Stimme gerufen, in
unserem Arbeiter- und Bauernstaat, in unserer sozialistischen
Republik haben auch die Theologen eine Heimstatt gefunden.
36 Erstsemestler, die sich misstrauisch beäugten. Ulrike kannte
niemanden. In der Pause stand sie am Fenster, neben ihr eine
Gruppe von Kommilitonen, älter als die anderen und irgendwie
schienen sie sich zu kennen. Klaus, ein schmaler Blonder mit
zerfranstem Bart, sprach sie an. Es waren nur wenige Sätze, die
in dieser Pause gesprochen wurden, Worte, Wortverbindungen, die
blitzschnell Standpunkte klar rückten, Blickrichtungen offen
legten. Ein Lächeln, Sprachpause, Falten auf der Stirn und
gekräuselte Lippen an der richtigen Stelle und Ulrike war
aufgenommen in dieser Gruppe.
Die Hermannswerderaner.
Hermannswerder, Halbinsel an der Havel, Stadtteil Potsdams
und gleichnamige Schule mit altehrwürdig preußischer
Vergangenheit, die in diesen Zeiten Pfarrerskinder und sonst
dem Staat Ungelegene aufnahm, ihnen ein Sonderabitur und damit
ein Theologiestudium ermöglichte, künftige Pfarrer, Organisten,
Kirchenjuristen.
Ulrike erschienen sie privilegiert: sie kamen mit Großem Latinum
und dem Graecum, hatten sich nur noch durchs Hebräisch zu
wühlen; sie waren älter, ernsthafter und vor Anfragen gefeit,
Anfragen wie etwa: wollen Sie nicht der Christlich Demokratischen
Union beitreten, um so als künftiger Pfarrer gezielt am Aufbau
des Sozialismus mitzuarbeiten. Unser Staat lässt Sie studieren,
gewährt Ihnen sogar ein Stipendium. Sie haben dafür unserem
Staat, der Partei dankbar zu sein.
Nein, die Hermannswerderaner blieben vor solchen Sätzen
verschont.
Und nun gehörte sie dazu.
Ausgerechnet sie, Ulrike, in einer Gruppe, sonst Einzelgänger,
der Protestant vom Dienst, wie man in der Familie sagte.
Sie trafen sich unten in der zerbombten Krypta des
Domes, saßen auf den Zinksärgen der alten Hohenzollern und
redeten, redeten.
Ulrike ging immer allein hin. Schönauer hatte sie nichts davon
erzählt.
Er fragte nicht.
Ein heißer Herbst.
Zwei Stühle im Hebräisch-Kurs blieben leer. Darüber verlor man
keine Worte, keiner sprach davon, jeder dachte daran, keiner
fragte, keiner sprach es aus: in den Westen abgehauen oder
verhaftet.
Wozu reden?
An einem Nachmittag, zwischen zwei Seminaren trafen sie sich in
der Krypta. Klaus und Gregor zogen zusammengefaltete Blätter aus
der Collegemappe. Einladungszettel für einen Kerzengang, stumm
um die Marienkirche.
Endlich etwas tun!
Verbissen schrieben sie ab, die Zinksärge dienten als Tische.
Ulrike stieß sich am scharfen Metallrand ihres Tisch-Sarges,
und Blutstropfen klecksten auf das Papier.
So ein Mist, schimpfte sie, knüllte das Papier zusammen und
steckte es in die tiefe Jackentasche. Jetzt muss ich noch einmal
von vorn anfangen.
Ihre Zettel wollten sie morgen am späten Nachmittag im
Hauptgebäude unter den Veterinären und Landwirten verteilen.
Auf die konnte man immer rechnen.
Klaus, der bärtige Blonde, hatte alles genau organisiert.
Geschickt öffnete er einen der Särge. Eine braune Tasche lag
darin, angefüllt mit herunter gebrannten Kirchenkerzen.
Fragt mich nicht, meinte Klaus in die erstaunt lachenden
Gesichter hinein, alles legal erbettelt. Jeder nimmt morgen vier
oder fünf davon und bringt sie mit zur Marienkirche.
Wir müssen die anderen mit Kerzen versorgen, so etwas nennt man
klerikalen Vorsprung.
Klaus schaute in die Runde. Sein linkes Augenlid zuckte nervös
hinter den dicken Brillengläsern.
Jeder überlegt bitte noch einmal genau, ob er auch mitmachen
will.
Er schaute von einem zu anderen, langsam, fast liebevoll. Es ist
keine Feigheit, jeder von uns hat gute Gründe nicht zu kommen.
Seine Finger glitten über die Ornamente am Zinksarg. Still
wurde es in der Krypta. Ganz schwach als dunkler Ton der
Verkehrsstrom der Straße zwischen Brandenburger Tor und
Alexanderplatz.
Klaus schaute zu Gregor hinüber.
Manchmal gehört mehr Mut dazu, nichts zu tun.
Es fielen keine heroischen Worte. Sie rutschten von den Särgen,
standen im Kreis, fassten sich wie hilfesuchend an den Händen.
Klaus intonierte, und in die Stille des Kirchengewölbes erklang
Otto Riethmüllers Choral, alle sechs Strophen, dreistimmig, wie
es eben nur Hermannswerderaner auf Anhieb singen können.
Aufgewühlt und nervös war Ulrike an diesem Abend nach Hause
gekommen. In ihrem möblierten Studentenzimmer steckte noch die
Hinterhofwärme des ungewöhnlich heißen Oktobertages. Sie war
froh, dass Schönauer noch nicht da war, um sie wie versprochen
zum Konzert abzuholen.
Ulrike zuckte zusammen. Dr. Schönauer stand auf, war mit drei
langen Schritten an der Nebentür.
Frau Venske, bitte, kochen Sie uns einen Tee, rief er ins
Vorzimmer.
Nicht wahr, Sie trinken auch einen Earl Grey?
Earl Grey, den hatten sie an dem Abend auch getrunken. Es waren
die letzten Teekrümel aus ihrem Geburtstagspaket.
Als sie in der Garderobe der Staatsoper ihre Jacke abgeben
wollte, fuhr sie wie immer prüfend in die tiefen Taschen. Der
Zettel, das blutverkleckste Blatt war nicht mehr da.
Ihre Plätze waren ganz oben. Sie saßen eingezwängt, Schönauer
hatte mühsam seine langen Beine untergebracht, die Partitur auf
den Knien.
Sie hasste es, wenn er mit dirigierte.
Der Freischütz glitt an ihr vorbei wie eine
Wolkenwand aus Farben und Tönen, überlagert von Melodie und
Worten des alten Chorals. Die Wolfsschlucht auf der Bühne wurde
zur Krypta mit Kerzen und Särgen. Sie fühlte plötzlich Gregors
schweißnasse Hand, aber es war nur die kühle Rechte
Schönauers, der sie begeistert auf den Part der Holzbläser
aufmerksam machte.
Die dunklen Locken waren ihm über das scharf geschnittene
Gesicht gefallen, und auf der Bühne begann Samiel zu singen.
Frau Venske brachte den Tee.
Danke, meinte Dr. Schönauer kurz, wir machen das selbst.
Vorsichtig goss er sich ein wenig in die Tasse und lächelte zu
ihr hinüber. Doch, er hat die richtige Farbe. Zucker brauchen
Sie ja nicht.
Er goss ein, nahm sich Zucker und rührte mit schnellen leise
klirrenden Bewegungen.
Er hatte seinen Gesprächsfaden wieder aufgenommen. Die
Rührbewegung behielt er bei.
Ulrike sah belustigt nach unten.
Wie hatte sie immer gesagt, wenn er rührte und rührte und dabei
unentwegt sprach.
Rührst du morgen immer noch? Dann kannst du für heute ja
aufhören.
Sie schaute auf, mitten ins Dunkel der Augen. Seine Rede stockte,
der Löffel klirrte auf der Untertasse. Er schob sie beiseite,
die dicke Gesetzessammlung näher und sprach ohne aufzublicken
über den nächsten Paragraphen.
Ulrikes Gedanken kehrten zurück zu Schönauers
Samiel-Gesicht in der Staatsoper, oberster Rang, den
billigen Studentenplätzen.
Am frühen Abend des nächsten Tages hatte er sie an
der Staatsbibliothek abgepasst. Ihre Zettel waren bei den
Veterinären verteilt, und sie hatte noch eine Stunde bis sie
ihre Kerzen aus dem Hohenzollernsarg holen wollte.
Freudestrahlend begrüßte er sie.
Du, ich bekomme heute dieses Buch heraus. Weißt du, das, was
unter Verschluss liegt. Der Dekan hatte mir die Bescheinigung
dafür ausgefüllt, dass ich das Buch für die Examensarbeit
brauche. Wir können es hinten in einem separaten Raum lesen. Ich
habe dich auch dafür angemeldet. Wir haben nur zwei Stunden
Zeit. Dann geht das Buch zurück.
Wie ein Kind in verbotenen Gärten war sie hinter Schönauer
hergelaufen, der einmal, zweimal, dreimal ein Papier vorzeigte
und schon waren sie auf unbekanntem Terrain.
Noch nie hatte Ulrike diesen Teil der Bibliothek betreten.
Zielsicher mit langen Schritten ging Schönauer ihr voraus,
öffnete schließlich eine kleine, unscheinbare Tür. Ein
schmaler Raum zum Innenhof hin, ein Tisch, zwei Stühle, ein
Buch, ein verbotenes Buch, nur für wissenschaftliche Zwecke mit
Sondergenehmigung zu lesen.
Wie hat Schönauer es geschafft, mich mit hineinzubringen?
Zwei Stunden Zeit, aber in spätestens einer Stunde musste sie am
Dom sein, halb acht an der Marienkirche, wenn die Abendandacht zu
Ende war, die Besucher herauskamen und sie mit ihren Kerzen
schweigend um den massigen Bau gehen wollten.
Schönauer rückte die Stühle eng zusammen, legte den Arm um
sie, um mit der Rechten umzublättern. Ulrike las schneller,
unkonzentrierter als er. Ihre Gedanken sprangen von
Existentialismus und moderner Theologie, gepresst in zwei
Buchdeckel, zu Kerzen im Sarg und Gregors schweißnassen Händen
hin und her. Ulrike spürte in sich kalt und schwer die Angst vor
den nächsten Stunden.
Was meinte Klaus mit dem Satz, dass jeder gute Gründe hätte,
nicht zu kommen?
Schwer schwangen die Töne des Chorals durch den Raum. Von
Strophe zu Strophe waren sie enger zusammengerückt, als müssten
sie sich gegenseitig stützen in ihrer Angst.
Aber ein Rundgang um eine Kirche, Kerzen, Schweigen, nein, so
kleinkariert kann nicht einmal dieser Staat sein, dass er
dahinter eine Gefahr sieht, beruhigte sie sich selbst.
Dumpfe Herzschläge in der Magengegend und krampfhaft saugte sich
ihr Blick an einem Satz, einem Wort in der Buchstabenreihe vor
ihr fest. Sie atmete flach.
Nur nicht Schönauer in seinem konzentrierten Lesen stören. Aus
den Augenwinkeln heraus sah Ulrike, wie er ab und an die Augen
schloss, sich die Lippen unhörbar bewegten.
Sie wusste, es war seine Art des Auswendiglernens, denn sich aus
so einem Buch Notizen zu machen, selbst für eine Examensarbeit,
war verboten.
Ich darf ihm nichts sagen, beschwor sie sich selbst, wenn er
wegen mir so kurz vor Studierende exmatrikuliert würde, das
verzeiht er mir nie.
Ich mir auch nicht!
Schönauer blätterte Seite um Seite und Ulrike rutschte auf
ihrem Stuhl herum.
Sitz still, wie soll ich mich aufs Lesen konzentrieren. Ich hab
nur noch knapp eine Stunde, bemerkte Schönauer, legte den Finger
auf die Buchseite und plazierte ungeschickt einen Kuss auf ihre
Nase.
Ich muss mal und aufatmend lehnte Ulrike sich zurück. Ich geh
ein Klo suchen.
Du kennst dich hier nicht aus, darfst hier auch nicht so einfach
herumlaufen.
Verkneif´s, ich geh gucken, und schon war er zur Tür hinaus.
Ulrike schaute auf die Uhr.
Wenn ich jetzt gehe, schaffe ich es noch. Zur Not kann ich auch
ohne Kerzen kommen.
Sie schrieb auf einen Zettel: muss leider gehen. Tschüss bis
morgen, packte ihre Collegemappe und ging zur Tür. Doch die
ließ sich nicht öffnen. Sie rüttelte am Türgriff, pochte
mit den Fäusten gegen die Tür.
Nichts.
Verschlossen.
Mit dem Rücken an der Wand, rutschte sie langsam nach unten. Sie
wusste von Türen, die man nur von außen öffnen konnte. Aber
wie war Schönauer hinaus gekommen?
Hatte er sie eingesperrt?
Warum?
Der blutige Zettel in ihrer Tasche fiel ihr ein.
Unsinn, dachte Ulrike.
Unsinn?
Sie stand auf, klopfte, schlug mit den Fäusten gegen die Tür,
rief laut.
Endlich Schönauers Stimme: ja, was schreist du so? Was ist los?
Die Tür bekam er auch nicht auf.
Er sprach beruhigend auf sie ein, wollte hinunter ins Foyer, um
den Hausmeister zu holen. Lange lehnte Ulrike am Fenster, sah es
immer dunkler werden. Sie stand an der Tür, hinter der
Schönauer redete, der Hausmeister fluchte.
Wie erkläre ich das Klaus, Gregor, den anderen? Die halten mich
doch für feige oder für Stasi.
Endlich war die Tür offen.
Schönauer wollte sie in die Arme nehmen, doch Ulrike lief durch
die Gänge und Treppen, kippte hastig an der Kontrolle den Inhalt
ihrer Tasche auf den Tisch und stopfte nach dem Nicken alles
wahllos zurück.
Sie rannte die zwei Busstationen von der Staatsbibliothek am Dom
vorbei zur Marienkirche.
Schon von weitem sah sie den massigen Bau, Fenster dunkel, keine
Kerzen und es war doch erst kurz nach halb acht. Sie
lief langsamer. Wie fröstelnd zog sie die Schultern
zusammen, ging betont normal, versuchte ihre aufgeregte Atmung
unter Kontrolle zu bekommen.
Männer schlenderten über den Platz, kein Klaus, kein Gregor,
keine Studenten.
Glatte ältere Gesichter, Zigaretten, Mantelträger.
Am anderen Morgen, Hebräisch-Kurs, sieben Stühle blieben leer.
Aus dem Buch "Wendeschleife
oder Im Tal derer von Brühl"
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MA 11.04.2008